In rumänischen Klassenzimmern wachte das magische Auge Big Brothers und plötzlich fielen 50 Prozent der Schüler durch das Abitur. Ein Schummlerschurkenstaat von dem Obama die E-mails checken muss? Da fühlten wir uns doch bei dem angeblichen Schummelvolk der Rumänen, die mit einer Bettelmafia deutsche Städte betrügen, gleich überlegen, doch schon hieß es, dass bei den Deutschen gar vier von fünf Studenten schummeln. (Titelbildnachweis: Viktor Angerer [Public domain], via Wikimedia Commons)
Weil wir nun die menschliche Natur so gut kannten, glaubten wir, dass das Schummeln nicht nur zu den Rumänen oder zu uns Deutschen gehöre, sondern eben zur menschlichen Natur. Doch der naturalistischen Biolehrer-Attitüde ließ sich ein Experiment aus Oxford entgegensetzen: Dort hatten Probanden die Chance 15 Euro im Telefoninterview zu gewinnen, wenn sie bei sich im stillen Kämmerlein Zahl werfen würden. Nach Angabe der Forscher schummelte kaum jemand bei diesem unkontrollierbaren Münzwurf.
Aus diesem Grund müssen wir das Phänomen des Schummelns wohl eher durch die Sozialstruktur der Schule erklären als durch die menschliche Natur.
Der miese Schummler im Umkreis der Heldengeschichten und sein Wunsch nach BiographieSeitdem Politiker ihren Doktorhut nehmen müssen, machen wir den neuen Schurken im Staat aus: Der Schummler ist ein Saboteur, der Anschläge auf unsere Lebenslaufverwaltung durchführt. Der Ertrag dieses „Kriminellen“ ist nicht mehr das direkte Produkt. Er will keine Nahrung, keine Lust, kein reales Prestigeobjekt. Ihn interessiert auch nicht das indirekte Produkt, ein abstraktes Zahlungsmittel. Das Ziel des Schummlers ist das Zahlungsmittel für das Zahlungsmittel: Biographie. Dieser doch komplizierte, ethische Wunsch ein geordnetes, gutes Leben vor anderen zu beweisen, deutet darauf, dass der Schummler eher Resultat sozialer Umstände als Natur des real existierenden Bösen ist. Gerade in unseren Sozialstrukturen überhöhen wir Biografien, die wir dann in Buchhandlungen wie die Geschichten von antiken Heroen ergattern. Zumeist geht es in diesen Biografien um den Ethos: Arbeit und Zeit, die sich zu einem unverrückbaren Fels der Leistung zusammenballen. Der Schummler erliegt dem Zwang, moderne Heldengeschichten nachzuschreiben. Er will zwar ethisch, aber das ohne Kosten sein.
Notiz zu Biographien: Mit der Kunst des Weglassens schreiben diese ihr Leben. Bedeutungsloses, die beständige Wiederholung unserer drögen Existenz im Alltag, fällt unter den Tisch. Die Stunden des einsamen Übens, die Grundlage für jede Fähigkeit sind, verschwinden hinter den Grenzleistungen stilisierter Biografien. Biografien versammeln so die Spitzen eines Lebens und sind dadurch außergewöhnlich. Es heißt, alles Überflüssige herauszudestillieren und nur die Brillanz des genialen Momentes in den Vordergrund zu rücken.Den Schummler zwingt diese verzerrte Perspektive nach der Abkürzung zu suchen und konkret an dem Leben, das ein Buch werden soll, mitzuwirken. Im Abitur schreibt er dann an seiner bisher einzigen Wegmarke im Lebenslauf. 19 Jahre seines Lebens passierte nichts Nennenswertes. Nach der Schule aber soll sich die Biografie wenigstens einmal verwandeln. Dieser Moment ist der Moment des Autors.
Die Schule und ihr Parasit
Der Schummler aber hat sein Heim in der Schule. Dort haust er als Parasit in einer Erziehungsanstalten, die eigentlich genau das Gegenteil seiner Art hervorbringen sollen: Eine ungeschönte, authentische Biografie, ein ethisches Individuum. Bei diesen Biographiepoolen der legitimen Selektion handelt es sich um Makler von linearen Lebensläufen. Gekonnte Selektion, die suggeriert, dass die Leistung in der Schule des Einzelnen über den schnörkellosen Lebensweg entscheidet, wo angeblich die Blümchen und Ethiken am Wegesrand wachsen. Die Zertifikate sollen daher unverkäufliche Statussymbole sein, die gegen kein Geld der Welt, sondern nur durch den Respekt vor der Institution erworben werden dürfen. Nur der Wille zur Leistung in solchen Institutionen rechtfertigt den späteren Aufstieg im Sozialsystem, rechtfertigt den Fels einer Biografie, die mit der ersten großen Reifeleistung für das System beginnen soll.
Schulen und Universitäten sollen so angeblich die Bildung des Menschen bewirken, als würden sie aus dem rohen Stein des menschlichen Wusts an Erlebnissen die Statue des richtigen Lebens herausschlagen. Sie sollen den Keim von Lebensläufen bilden, Lebensläufen, die sich der Reifung und Selbstentfaltung des Gehirns verschrieben haben. Es sind Gehirnprägewerke für postmoderne Leistungsbefürworter, wobei die Leistung darin besteht, das Gehirn gemäß bestimmter Vorgaben verändern und entfalten zu wollen.
Mit dem produktiven Schuldruck des Eins-Komma-Abis säen wir dann diese Biografiesamen in die Gesellschaft. Angesichts aber dieser Zielstellung des Gehirnprägens haben unsere Anstalten vielleicht weniger mit Bildung, als vielmehr mit der Prägekraft für Leistungsbürger zu tun. Schulen sind womöglich eher die Zulassungsstellen für Teilnehmer im Verkehrssystem anerkannter Biografien. Wenn nun Schulen, so wie es überall angeprangert wird, daher weniger mit Wissen zu tun haben, dann ist es auch an der Zeit diese restlichen Funktionen genauer zu bestimmen. Vielleicht überschätzen wir den Wert der Bildung und unterschätzen den Wert der Geradlinigkeit für unser System. Vielleicht soll Schule so im Verborgenen unseres funktionierenden Systems eine Zulassungsstelle für Biografien sein, die sich mit diesem System wie Zahnräder verzahnen lassen. Denn so ist es doch in unserer Biographie-Gesellschaft: Es treffen sich nicht mehr zwei Menschen, sondern divers Zertifizierte, die sich auf dieser Grundlage ihre Leistungsbereitschaft abkaufen, und dies ohne die Leistung des anderen kennen zu müssen.Der versteckte Lehrplan tat für dieses Vertrauen in die Zertifikate sein Übriges. Das Stillsitzen, das Schweigen, das Stillen des Lebenstriebes, die Unterdrückung des Ausbruchs, die Erniedrigung vor den Regeln, die Regelbefürwortung, für all das bekommen wir unser Zertifikat und erlangen unsere Glaubwürdigkeit vor anderen. Wir werden berechenbar. Doch leisten wir?
Schulleister bringen keine tatsächlichen Leistungen mit nach Hause. Einziges Produkt sind sie selbst als Unterdrückte, gradlinige Biografien. Sie sollen als wohlstrukturierte Leistungsbürger die Schule verlassen. Ohne jegliches Interesse am Stoff sind sie kapitalistisch uninteressiert, jederzeit bereit, das Gehirn auf neue Aufgaben einzustellen.
Wir müssen also die Frage stellen, was wir tatsächlich in den Institutionen erwerben. Wie ist es zum Beispiel möglich, dass sich Menschen als Arzt durchschummeln, die niemals eine Universität besucht haben oder Piloten werden, obwohl sie keine Ausbildung besitzen? Es erscheint im Hinblick darauf eher so, dass die eigentliche Tätigkeit schneller erworben werden kann, als unsere Institutionen es uns vorgaukeln. Stattdessen verwenden Bildungsinstitutionen eher einen bedeutenden Teil ihres Unterrichts auf die Disziplinierungsverfahren.
Was ist Leistung in der Schule?
Was leisten wir also wirklich in Schulen? Schon ein Blick auf die tatsächlich erbrachte Leistung macht deutlich, dass Schulen wenig mit Arbeit gemein haben. Schüler haben wohl noch niemals in einer Klassenarbeit tatsächliches Wissen hervorgebracht. Da die Abiturarbeiten ein paar Jahrzehnte archiviert und dann heimlich ohne Pomp der Müllverbrennung übergeben werden, lässt sich darauf schließen, dass wir hier nicht die Schätze der Menschheit verschwenden. Es hat den Anschein als würden wir das Abitur nur nicht gleich verbrennen, weil sich der miese Schummler unter unserem Menschengeschlecht herumtreibt und wir uns die Macht der Kontrolle bewahren. Vielleicht aber archivieren wir auch die schulische Leistungen, um uns selbst die Idee zu heucheln, dass der Großteil unserer Schulleistung kein Müll gewesen wäre. Erst wenn wir Arbeiten sogleich verbrennen, erkennen wir, dass sie wertlos waren. Wer also ist für die Aufbewahrung von Abiturarbeiten?
Am Hans-Grüninger-Gymnasium in Markgröningen ist man daher konsequenter. Dort ziehen die Schüler seit 1975 in einem Trauermarsch durch die Straßen, um die wertlosen Resultate ihrer Schulzeit zu verbrennen. Dieses sind Trauermärsche für verpasste Chancen. Man hat erkannt, dass die sinnlose Materialanhäufung zu großen Teilen Beschäftigungstherapie innerhalb eines Selektionsverfahrens war. Im Selektionsverfahren ging es niemals um das stoffliche, man selbst war nur der Rohstoff um den Verbrennungsmotor einer größeren Maschine.
Biographische Notiz: Tatsächlich platzen auch meine Schränke aus allen Nähten, weil ich immer wieder dem Wahn unterliege, dass sich das angesammelte Wissen aus der Studienzeit, irgendwie doch noch verwerten lassen müsste. Ich weiß sogar noch, wie ich beim Studium Hefter aus der sechsten Klasse aufhob, weil ich ja doch nochmal die Fledermaus studieren würde wollen. So wie sie unsere Biolehrerin Frau Weser und dann Frau Füssel damals unterrichtete (Wikipedia machte uns Archivaren einen Strich durch die Rechnung). Doch ich weiß immer noch nicht, was Korbblütler und Polypen sind. Die ganzen Kategorien der Tiere und Pflanzen, sie rauschten wie eine Autobahnlandschaft an mir vorbei und ich bestand Bio mit einer vier.
Aus dem Gesagten lässt sich schließen: Es ist wohl eher so, dass viele zu erfüllende Arbeiten in der Schule sinnloser Verwaltungsballast sind und damit meine ich nicht die tatsächliche Verwaltung, sondern das, was Schüler an Stoff bewältigen. Vielleicht sollen wir bei dem gesammelten Müll nur Herren einer Aktenlage werden, vielleicht sollen wir nur lernen, wie wir archivieren, wobei die Inhalte beinahe arbiträr nichts Wirkliches zu unseren Lebensplänen und Lebensläufen beitragen. Wenn die Kultusminister mit allem Ernst Lehrpläne verhandeln, so merken sie vielleicht nicht, wie lächerlich die Vorschläge der Stofffülle sind, da sie nur den Stoff verhandeln, den wir letztlich in den Müll des Abiturs transkribieren. Sie verhandeln, was wir schließlich nach Jahren der Lagerung verbrennen. Wo findet das wirkliche Lernen statt? Was macht es schließlich, dass ich vier plus vier unauslöschlich in meinem Gehirn gespeichert habe? Und wo können wir wirklich etwas leisten? All das fragen wir nicht, Schulen sind daher nur an der Oberfläche relevant, tatsächlich aber befinden wir uns in einer Disziplinierungsanstalt.
Fragen
Was haben wir wirklich gelernt? Listen wir auf: Das Einmaleins, Schreiben (Gutes Schreiben in 13 Jahren?), eine Fremdsprache (?). Fragen wir, wer hat uns das A beigebracht: War es der Lehrer, dessen Mund sich immer wieder formte, wenn dieses geheimnisvolle Schriftzeichen auftauchte? Oder war es vielleicht nur der Moment, als wir einsahen, einer Regel folgen zu müssen? Vielleicht lernen wir nicht den Stoff, sondern das Gehorchen.
Wir lernen zu gehorchen
So wie das Vorschulkind von seinen Eltern noch nicht weiß, dass es auf Fragen antworten muss, so lernt es zu antworten, wenn man es fragt. Jahrtausende jedoch lebten Menschen ohne das Machtspiel der Fragen. Die Schule hat es perfektioniert. Ich frage, du antwortest. Ich rede, du hörst zu.
Und so mag sich vielleicht kein Lehrer eingestehen, dass all die Vorbereitung am heimischen Schreibtisch, dass all seine Lebensleistung vielleicht schlicht verpufft und er nur Diener einer anderen Leistungsmoral war, dass er nur ein Machtspiel instituierte und das wirklich Gelernte viel geringer war, als er es sich immer wünschte. So wie der Sklaventreiber Sklaven treibt; doch er treibt nicht nur Sklaven, sondern er baut an einer Pyramide; doch er baut nicht nur eine Pyramide, sondern in allem instituiert er eine andere Macht. Die Sklaven arbeiten nicht nur, sie bauen nicht nur eine Pyramide, sie bestätigen die gesellschaftliche Macht, genauso hält der Lehrer nur die Peitsche eines angeblich stofflich überlegenen Wissens; genauso baut er an einer anderen Pyramide, einer Biographie, doch genauso bringt seine Wissenspeitsche eine ganz andere Gesellschaft hervor. All seine Versuche Wissen zu vermitteln sind letztlich auch die Züge einer höheren Disziplinierung. Sein angebliches Wissen ist Macht.
Einblick in meine gegenwärtige Beschäftigung: Unter der Peitsche lerne ich derzeit für die „Incomprehensive Exams“, ohne in irgendein Wissen zu produzieren. Wenn wir ohne Sinn und Verstand 15 Bücher der Philosophiegeschichte für einen 6-stündigen Test beherrschen sollen, dann wühle ich es wie den intellektuellen Dreck der Jahrhunderte in mich hinein. Da sind keine qualitativen Gedanken, die ich denke, sondern ich sortiere wie ein Leichenfledderer die Skelette der Vergangenheit. Hier sortiert einer Philosophien und reiht sie ohne Sinn und Verstand auf. So als würde der wirkliche Gedanke zwischen zwei Buchdeckeln gepresst sein und nicht in unserer Leistung des Denkens bestehen. Und so ist es mit den vernunftbegabten Individuen, die sich irgendwie aus dem Dreck der Verwaltungsaufgaben herauswühlen müssen und sich dann doch die Zeit zum Denken aus einer anderen Zeit heraus nehmen sollen. Wir schuften, aber wirkliche Arbeit verrichten wir nicht. Wir sind besinnungslos im eigentlichen Apparat der Gesellschaft.
Doch es ist nicht ganz richtig. Mittlerweile hebe ich die sinnlosen Mitschriften auf. Sie sind noch nicht gleich Müll. Damit ich meine Verwaltungsarbeiten schnell den Studenten im Unterricht „übergeben“ kann, schreibe ich ordentlicher. Ein Beamter unterrichtet seinen Weg, nur damit einige Studenten es vielleicht aufheben und wir dieses „Übergebene“ durch alle Zeiten übergeben. Eine Stafette der sinnlos leuchtenden Gehirne, die sich einbilden, sie hätten Wissen erreicht, wenn andere es wiederholen.
Was also weisen Schulen nach?
Nun die Ausdrucksweise ist drastisch, aber die Tests der Schule entbehren nicht einer gewissen Sinnlosigkeit in Bezug auf ihr Resultat. Sind sie daher sinnvoll? Ein wichtiges Ziel ist wohl der Nachweis höherer Anpassbarkeit, Selektion. Was Tiere unter realen Bedingungen erproben, haben wir in die Verwaltung unserer Schüler und Studenten gezwungen. Dass Menschen sich einfinden, so dass Kameras ihre unerlaubten Blicke einfangen können, ist daher Resultat einer Anpassungsforderung. Der Überlebensstress der Natur heißt nun Prüfungsangst. Vor 500 Jahren war es wohl noch in vielen Gegenden Deutschlands unvorstellbar, sich in einem Klassenzimmer einzufinden, wo der Geist nun nichts anderes macht, als als sich selbst als anderen hervorzubringen. Heute aber sind wir schockiert, dass ein angepasster Leistungsbürger mit 0,7 Abi das Medizinstudium nicht beginnen darf? Wir haben die Rechte der Lernenden als fluides Ich-Gewebe gestärkt. Wir besitzen nun charakterlose Wissensstaubsauger, aber wir wissen nicht, was Wissen eigentlich ist. Aber auch bei der Frage, was Wissen sei verraten sich die meisten Bildungsbürger.
Bildung müsse nutzlos sein
In diesen Diskurs um die strikten Systeme mischt sich sogleich der Wahn, dass Bildung nutzlos sein müsse. Einige Bildungsbürger prangern die Nützlichkeit eines Systems an, denn so heißt es, nur der Unnutz würde Wissen langfristig hervorbringen. Sie wollen also den Unnutz aus Nützlichkeit. Auch all diese Bildungsreformer fallen daher auf die Versprechen unserer Gesellschaft herein. Wenn dann an den reformierten Schulen Wissen unterrichtet wird, dass tatsächlich eine längere Halbwertszeit hat, weil es nutzlos ist, dann sind sie sich nicht bewusst, dass vielleicht auch die Resultate dieser Projekte schlichtweg verbrannt werden können. Wissen aber in unserer Bildung ist doch schon nutzlos.
Auch sie also fesseln den Schüler auf die Streckbank, die bald mit dem Neurenhancing die Strukturen aller Menschlichkeit zerreisen kann. Das Wissen ist ein unmenschlicher Imperativ, den Menschen selbst zu überwinden. Eine Bildungsgesellschaft ist eine Gesellschaft, die unglücklich mit sich selbst ist und mit Optimismus auf eine bessere Zukunft lauert.
Die Ökonomie des veränderten Menschen
Für diesen Willen zur Nachgiebigkeit bieten wir unseren Willen auf. Wie Schilfgras biegen wir uns und wollen doch letztlich ein anderes Gehirn haben; ein anderer sein. Die Selbstverletzungsriten der Moderne richten sich nicht mehr nur auf ausgeleierte Ohrläppchen, komplett tätowierte Körper oder geritzte Oberarme, sondern auf ausgeleierte Gehirne. Menschen, die ohne Würde nur noch Leistungsmoral leben. Der Leistungsverweigerer ist dabei ein anderer Ich-Kern, dem wir ein Herr von Sozialpädagogen entgegen stellen. Sie sind Integrationshelfer für eine doch angeblich positive Wissensökonomie.
Keine Seinsfrage bestimmt das Lernen, sondern der Anpassungsdruck bestimmt den Stil einer Gehirneroberung. Alles in allem ist es vielleicht nicht die Aussicht auf kurzfristige Erfolge, die den Schummler drängt, sondern paradoxer Weise sein Wille nachzuweisen, dass er sich in ein System der Veränderung hineinverändert hat, wobei er unentdeckt doch ein egoistisches Ich bleiben möchte. Schummler sind Bewunderer des eigenen Selbst, und wollen doch das Ich, das sie nicht sein können. Zugleich wollen sie das Ich, das sie nicht sein dürfen. Der Schummler steht zwischen der Front des Selbst und dem gesellschaftlichen Druck aus dem wertlosen Stück Kohle, dass er noch ist, einen Diamanten zu pressen.
Ausblick
Das Schleifen des Diamanten hat noch überhaupt nicht begonnen und wird im Zuge der „Neuroenhancing-Technologie“ der nächsten Jahrzehnte beginnen. Alles ist Vorbereitung auf den Transhumanismus.
Was wir wirklich lernen?
Nun stellt sich die Frage, ob unsere Systeme, wenn sie denn nur zum dynamischen Selbsterhalt beitragen, wirkliches Lernen in den Mittelpunkt stellen. Wir glauben schließlich, dass unsere Schul- und Universtitätssysteme nur eine einzige Aufgabe hätten, Wissen zu vermitteln. Doch angesichts der Tatsache, dass wir kaum wissen, wie wir Wissen erwerben, sind Schulen und Universitäten vielleicht nicht für diese noble Aufgabe ausgelegt. Stattdessen sind die ehemaligen Militärschmieden immer noch Prüfverfahren dafür, wie lange wir bereit sind, uns einem Ziel der Veränderung zu verschreiben. Wie stark willst du dich brechen lassen? Es geht um die großangelegte Gehirneroberung, die diese doch mit dem Ausgang aus der Unmündigkeit, mit der Freiheit des Lernenden bestraft. Dass wir uns innerlich verändern ist nahezu unbestreitbar, doch die langen Wege um ein Einmaleins oder ein Codierverfahren wie das Alphabet zu erwerben, zeigen, dass wir nicht genau wissen, wie Lernen funktioniert, noch dass wir wissen, welche Bedeutung über das System hinaus dieses Lernen haben könnte. Unser mangelndes Wissen über den Wissenserwerb zeigt somit, dass sich die Machtsrukturen des Wissenserwerbes auch aus anderen Gründen reproduzieren. Wir brauchen sie, um Lebensphasen des langsamen Lernens doch mit dem Nachweis der Veränderbarkeit zu füllen und die Gehirneroberung überhaupt in Einklang mit unseren gesellschaftlichen Zielen zu bringen. Wir brauchen die Wissensdemagogie auch, um anpassungswillige Individuen nicht zu schulen, sondern sie ohne Kenntnis zu selektieren. An der Spitze unserer Gesellschaft stehen dann die Wissenden, die sich durch die Schule geackert haben, und weil sie sich jahrelang quälten, befürworten sie diesen Apparat.
Die ökonomische Presse eines unsichtbaren Leviathans belädt uns mit Riten der Leistung. Unser lokaler Wissensdrang, den wir bei Kindern so gerne konditionieren, ist schon längst Durchblutungsprinzip eines größeren, undurchschaubaren Organismus geworden. Für uns bleibt nur die Frage, ob wir optimistisch diesen Wissensdrang annehmen oder ihn als Wissenszwang erleben. Doch auch der Zwang sich über die Sinnlosigkeit unserer Schul- und Universitätssysteme aufzuplustern, gehört in das Schema jenes zersausten Veränderungswillen einer modernen Menschheit.Noch bestrafen wir den Schummler und schließen ihn aus dem Zyklus des Lernens aus. Es heißt nun, dass die durchgefallenen Schummler in Rumänien selbst im nächsten Jahr ihr Abitur nicht wiederholen dürften (http://www.spiegel.de/schulspiegel/schulmisere-in-rumaenien-jeder-zweite-rasselte-durch-abi-pruefung-a-772265.html). Der Schummler hingegen ist nur Ausdruck eines Systems, dass es auf Gehrinveränderung anlegt. In Zukunft wird dieser Schummler durch Neuro-Enhancing eine neue Chance in unserer Gesellschaft bekommen, weil wir die Struktur unserer Veränderungsdiktatur nicht durchdringen. Die Schule will die neue Tour-de-France werden, wobei das Doping durch die neusten Implantate ersetzt werden wird.
Stattdessen aber müssten wir uns fragen, wie wir wirklich lernen und was dieses Lernen für uns bedeutet, denn diese Menschheit hat es noch nicht zu ethischen Würden gebracht. Bei bewusstem Lernen geht es daher nicht um die postmoderne Anpassung an alle arbiträren Hintergründe des Lebenslaufes, sondern um die Würde des Menschen im Sein, vielleicht gar nur um das Sein vor dem wir unsere Übungen durchführen. Dann aber ist die Schule nicht der Startschuss für eine „vernünftige“ Biographie, sondern die Vorbereitung für das unstillbare Hintergrundrauschen einer anderen Macht in uns. Die Philosophie ist damit die letzte Station vor der Einsicht, dass alles Lernen doch dem Sein gehört und nicht den Eroberern der Gehirne.
Momentan aber verzweifeln wir noch an der Undurchsichtigkeit unserer Bestimmung, so wie ich keine Lösung präsentiere, so ist es vielleicht zunächst das schwerste den Zweifel zu lernen.
Ich hoffe der Artikel regte zum Nachdenken an und hat einige interessante Informationen zusammengetragen, wenn ja dann bitte teilen oder kommentieren. Außerdem added mich doch bitte bei Google+, abonniert mich per E-mail oder tretet der Facebookgruppe oben rechts bei. Ein RSS-Feed ist natürlich auch vorhanden sowie eine “gewaltig interessante” Pinterestwall zum Thema Lernen. Ansonsten könnt ihr mich gerne anschreiben, wenn ihr mal gemeinsame Projekte im Sinn habt.
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Über überdisziplinierende Eltern: 37 Grad Reportage
Norman Schultz
Duquesne University
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In unseren „Schulen“, die wir zum Gegenteil dessen gemacht haben, was dieses Wort bedeutet, wird nicht gelehrt sondern unterrichtet.
Unterricht richtet nach unten.
LEHREN heißt – ich nehme die auf die Etymolöogie gegründete Definition der neuen Ich-kann-Schule – ein mitreißendes Vorbild für LERNEN sein.
LERNEN hießt nicht Stoff in sich hineinfressen sondern: FÄHRten des Lebens auf sich nehmen – GeFAHRen auf sich nehmen – eigene ErFAHRungen sammeln.
In unseren „Schulen“, die wir genauer Unterrichtsvollzugsanstalten nennen sollten, machen sie DRUCK, wenn sie erZIEHen. Sie ignorieren, dass ihre ErZIEHung de facto ErDRÜCKung ist.
Druck komprimiert Mensch + Problem; das ist das exakte Gegenteil von LÖSUNG.
Druck drückt nach unten.
In der Ich-kann-Schule, die eine wirkliche SCHULER ist, gilt das SOG-Prinzip.
SOG ZIEHT NACH VORN.
Nun kann sich ja jeder überlegen, ob er weiter wissenschaftlich abgesichert nach unten oder selbstbestimmt auf eigene Verantwortung und Risiko und auf eigenen Erfolg nach vorne will.
Guten Erfolg!
Franz Josef Neffe
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