Was ist Bildung in der Zukunft und was ist Intelligenz? (5 Punkte am Mittwoch)

Ziel nach meiner Dissertation ist es jede Woche 5 interessante Links zum Thema „Lernen“ zusammenzutragen. Etwas ambitioniert, da ich ähnliches im Bereich „Philosophie“ versuche. Nach meiner Dissertation suche ich auch nach neuen Gedanken, die uns mehr über die Zukunft sagen, Gedanken, die noch nicht gedacht sind.

2. Die Zukunft der Bildung

Die Frage nach der Offenheit des Denkens ist auch eine Frage der Bildung. Am Anfang des Semesters frage ich meine Studenten mittlerweile, warum wir überhaupt hier sind und ob Philosophie überhaupt nützlich ist. Ein Studium hat ja im wirtschaftlichen Nutzen stark nachgelassen. In Deutschland ist es immerhin gratis, während meine Studenten hier 45.000 Dollar pro Jahr zahlen. Ich habe dennoch keine eindeutige Position und lass meine Studenten diskutieren, wie ein idealer Stundenplan in der Schule aussehen würde. Meine Studenten haben mir dieses Semester vorgeschlagen, dass man in der Schule lernen müsse wie man seine Steuer mache oder wie man ein Steak brät. Ich denke jedoch, dass der Anspruch, Schule müsse praktisch sein, den Sinn von Bildung verfehlt. Praktische Aufgaben werden später leicht von künstlicher Intelligenz erledigt werden oder wir lernen sie nebenbei. Ich muss nicht wissen, wie man Hartz IV beantragt, sondern eher sollte ich Wissen habe, wie ich mich selbstständig um so etwas kümmern kann. Daher muss der Wert, der Schulbildung in etwas anderem als purer Praxis liegen, wobei ich Praxisbezug nicht absolute ausschließe.

Jack Ma sieht das ähnlich. Jack Ma ist der reichste Chinese, der das chinesische Amazon aufgebaut hat und Bezahlvorgänge in China revolutioniert hat. China hat auch mit ihm das Kreditkartenzeitalter übersprungen. Fast alle Transaktionen werden dort mit Smartphones erledigt. Im Hinblick auf künstliche Intelligenz, glaubt Ma, dass Maschinen alle Aufgaben, die Intelligenz erfordern, besser machen werden als Menschen. Dennoch glaubt Ma, dass Menschen „gewinnen“ werden. Hierfür unterscheidet Ma zwischen Weisheit und Intelligenz. Menschen wären demnach designed, um weise zu werden. Anhand dieser Unterscheidung deduziert Ma verschiedene Anforderung für eine zukünftige Bildung.

https://www.youtube.com/watch?v=nV7DlRJkZsY

Hört sich ganz interessant an. Dennoch müsste Ma sagen, was Weisheit bedeutet und warum diese von Computern nicht immitiert werden kann. Weise sind seine Aussagen daher nicht, eher sind sie die Aneinanderreihung von Thesen ohne Begründung. Die Frage bleibt daher bestehen, was ist der Sinn von Bildung. Mir scheint Ma setzt Utilitarismus voraus, nämlich die Nützlichkeit von Bildung und daran solle sich Bildung orientieren.

3. Duolingo auf der Toilette

Ma glaubt, dass Weisheit das Ziel von Bildung sein muss. Nach Sloterdijk ist Weisheit die Rückkehr von den Extremen. In einer Dialektik bedeutet dies, sich stets zu den ferneren Denkbestimmungen zu bewegen und dann aus den Widersprüchen, die sich ergeben, die Rückkehr zum Ursprungskonzept anzutreten. Ich selbst bin mir unschlüssig, ob die Forderung nach Weisheit nicht selbst ein Extrem ist.

So weise Dinge mache ich ja auch nicht. Ich lerne jetzt zum Beispiel Chinesisch auf der Toilette und mache praktische Fortschritte. Ich verwende die Idee von BJ Fogg und verankere Mikrogewohnheiten in meinem Alltag. Immer wenn ich auf Toilette sitze wird also eine „Sitzung“ Duolingo abgehalten.

Ist es jedoch sinnvoll heute noch Sprachen zu lernen? Google übersetzt doch fast alles ausreichend verständlich. Womöglich werden wir in der Zukunft nicht einmal mehr eine Sprache lernen müssen, sondern entwickeln unsere eigenen Privatsprachen, die dann von Computerprogrammen entschlüsselt und in andere Privatsprachen übersetzt werden. Severin, neben Louis van Ahn der Duolingo-Gründer, glaubt, dass das noch ein weiter Weg sei, aber Simultanübersetzung werde schon in wenigen Jahren ausreichend für Kommunikation sein.

Ich vermute, dass Severin auch zu der Silicon Valley-Ideologie des Praktischen gerechnet werden kann. Selbst Informatiker, also eine Art Ingeniur, glaubt er, dass Ingenieure alle Probleme der Zukunft lösen werden. Ethische Fragen würden dabei keine Rolle spielen, da Ingenieure ja Probleme lösungsorientiert angehen würden. Es bedarf keiner ethischen Debatte. Diese anti-philosophische Position findet sich häufig bei amerikanischen Entrepeneuren. Larry Page, Gründer von Google, vertritt zum Beispiel eine ähnliche Position (hier eines der interessantesten Interviews mit ihm: http://www.zeit.de/2015/21/larry-page-google-gruender)

Severin und ich haben dazu zwei Bücher diskutiert. Einmal Ulrich Becks Risko-Gesellschaft, der die These vertritt, dass vernachlässigte Umweltbedingungen später als Nebenwirkungen zurück kommen. Die Transformierung von Gefahr in Risiko würde uns so nur die Illusion von Kontrollierbarkeit der Nature geben. In diesem Sinne sollten wir die Welt nicht ingenieurstechnisch verstehen, sondern wir müssen verstehen, dass die Welt in ihrem grundsätzlichen Problemzusammenhang noch nicht erkannt ist. Zum Zweiten haben wir das Buch „Engineers of Jihad“ diskutiert. Das Buch folgt der Beobachtung, dass Terroristen in der Regel gut ausgebildet sind und tatsächlich Ingenieure sind. Die These der Autoren ist dann, dass das Mindset von Ingenieuren sich auf die Idee stützt, dass Probleme leicht zu identifizieren sind. Eine ähnliche Ansicht hat mein Mitbewohner vertreten, der an der CMU Computer Sciences studiert hat. Er meinte, dass Informatiker das Problem des Krebes schnell lösen könnten, wenn die Mediziner mit ihrem Geschrobbel mal einfach aus dem Weg gehen würden. In der Regel sind also die Überlegungen von Ingenieuren darauf aus, Probleme schnell mit simplen Methoden zu beheben. Realität jedoch, so wie es auch Dietrich Dörner zeigt, ist zu komplex, um rein mit Ingenieursdenken verstanden zu werden. Sogenannte Open-World-Problems sollten auch eine Barriere für die zukünftige AI darstellen.

Meine Position ist, dass Ingenieurswissenschaft nur ein Teil der gesamten Fragestellung nach der richtigen Lebensweise ist. Intelligenz ist mehr als begrenzte Probleme mit taktischen Mitteln zu lösen.

4. Was ist Intelligenz?

James Flynn, nach dem der Flynn Effekt benannt ist, hat hierzu die Theorie, dass wir besser und besser werden, mit Hypoetheticals umzugehen.

Er bringt verschiedene Beispiele, wie wir uns an abstraktes, striktes Denken gewöhnt haben. Er unterscheidet dies von dem erfahrungsvermittelten Denken. Ich selbst habe einst einer Studenten versucht beizubringen, was der Unterschied zwischen ‚deduktiv gültig‘ und schlüssig ist. Folgendes Argument:

  • Prämisse 1: Käse ist essbar.
  • Prämisse 2: Der Mond ist aus Käse.
  • Schlussfolgerung: Der Mond ist essbar.

Sie hat das nicht eingesehen und darauf bestanden, dass der Mond nicht aus Käse ist. Sie konnte sie damit nicht von ihrer Erfahrung lösen. Obwohl das Argument nicht die Realität beschreibt, ist das Argument dennoch deduktiv gültig, da die Konklusion nicht falsch sein kann, wenn die Prämissen wahr sind. Es ist nicht schlüssig, weil die zweite Prämisse falsch ist. Flynn bringt verschiedene solcher Beispiele aus dem frühen 20. Jahrhundert. Seine Antwort ist, dass wir in immer abstrakteren Dimensionen denken, die mit unserer Alltagserfahrung immer weniger zu tun haben. Dies bezeichnet er als Intelligenz, hypothetisches Denken also.

Der Intelligenz-Quotient ist  für ihn ein Mittel, um die Fähigkeit des abstrakten Denkens festzustellen. Er behauptet daher nicht, dass der IQ unsere gesamte Intelligenz zuverlässig bestimme. Deswegen ist das folgende Zitat auch eher irreführend:

„The idea that intelligence can be measured by IQ tests alone is a fallacy according to the largest single study into human cognition which found that it comprises of at least three distinct mental traits. […] IQ tests have been used for decades to assess intelligence but they are fundamentally flawed because they do not take into account the complex nature of the human intellect and its different components, the study found.“ http://www.independent.co.uk/news/science/iq-tests-are-fundamentally-flawed-and-using-them-alone-to-measure-intelligence-is-a-fallacy-study-8425911.html

Die Autoren behaupten, dass der IQ überhaupt keine Aussage kraft habe, eine extreme Position, der wir leider häufiger begegnen. IQ und Bildungserfolg sind positiv korreliert, wobei der Korrelationskoeffizient teilweise bei 0,95 liegt (Quelle, Seite 205). Daher ist es verwunderlich, dass einige Menschen, diese Korrelation prinzipiell wegargumentieren. Das ist ungefähr so als würde man einen Zusammenhang zwischen rauchen und Lungenkrebs leugnen. Hier liegt der Korrelationskoeffizient in der Regel bei 0,9.

Die folgende Studie misst Intelligenz nun nach anderen Kriterien, nämlich Kurzzeitgedächtnis, Schlussfolgerungsvermögen und verbale Agilität:

„Instead of a general measure of intelligence epitomised by the intelligence quotient (IQ), intellectual ability consists of short-term memory, reasoning and verbal agility. Although these interact with one another they are handled by three distinct nerve “circuits” in the brain, the scientists found.“

Hier wird ein andere Intelligenzbegriff konstituiert, der dann mit dem gängigen IQ nicht übereinstimmt. Danach stellen die Autoren fest, dass der IQ ihren Kriterien nicht gerecht wird. Die Schlussfolgerung ist radikal:

“The results disprove once and for all the idea that a single measure of intelligence, such as IQ, is enough to capture all of the differences in cognitive ability that we see between people,” said Roger Highfield, director of external affairs at the Science Museum in London.“

Natürlich ist der IQ nicht perfekt, aber das hat auch nie jemand behauptet. Die Korrelationen, die sich damit abbilden lassen sind allerdings bestechend. Wenn nun jemand einen leistungsfähigeren Intelligenz-begriff entwickelt, so ist dies nicht problematisch.

„The scientists found that no single component, or IQ, could explain all the variations revealed by the tests. The researcher then analysed the brain circuitry of 16 participants with a hospital MRI scanner and found that the three separate components corresponded to three distinct patterns of neural activity in the brain.“

Dies bedeutet schlicht, dass Menschen verschiedene, weitere Merkmale neben dem IQ aufweisen. Diese Merkmale können durchaus besser mit anderen relevanten Faktoren korrelieren. So könnten wir zum Beispiel nach beruflichem Erfolg fragen, wobei die Korrelation zur Intelligenz hier geringer ausfällt. Dies könnte durchaus durch andere messbare Faktoren besser erklärt werden. Die Frage ist letzten Endes, wofür wir den IQ benutzen wollen. Für bestimmte Felder eignet sich der IQ gut, um bestimmte Vorhersagen zu machen. Aus diesem Grund ist die folgende Schlussfolgerung völlig überzogen:  „Now we have shown that IQ is meaningless too,” Dr Highfield said.“ Im Hinblick auf die eindeutigen Korrelation zwischen IQ und Schulerfolg ist diese Aussage nutzlos und vertieft nur den Graben zwischen Menschen, die nur an den IQ glauben und Menschen, die den IQ absolute ablehnen.

5. Humor und Intelligenz

Folgende Publikation im Journal „Intelligence“ indiziert eine postive Korrelation zwischen Intelligenz und Humor. Kann man Humor trainieren? Vielleicht. In jedem Fall hilft es einen schlechten Tag zu verarbeiten. Hier also Alltagsfrustbewältigung und Intelligenztraining in einem: https://www.boredpanda.com/people-having-bad-day/

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Dr. Norman Schultz, Pittsburgh, Januar 2017

 

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