Für das freie Lernen spricht, dass wir nun eine Internetgemeinschaft haben, wo sich Menschen gegenseitig sehr viele Dinge beibringen. Aber kann diese Internetgemeinschaft die Zukunft sein? Was lernen wir denn im Internet? Memeswars, Shitstorms und kollektive Erregung? Wie schnell applaudieren wir dabei Müll? Es heißt: „Kein Applaus für Scheiße“, aber belohnt kollektive Begeisterung nicht gerade den Durchschnitt?
Applaus
Klatschen soll in der Regel Leistung honorieren, aber kann eine Masse Leistung wirklich wert schätzen? Warum klatschen wir? Manchmal klatschen wir es aus Begeisterung, manchmal aus Angst, manchmal klatschen wir aufgrund des Herdentriebs und oft auch klatschen wir aus Scham. „Kein Applaus für Scheiße!“ bekomme ich selten hin. Klatschen als Kulturtechnik erfüllt verschiedene Funktionen. Ideal praktizieren wir Applaus, um außergewöhnliche Leistungen zu honorieren. Aber wie erkennen wir außergewöhnliche Leistungen?
Applaus ist kinderleicht und mittlerweile sind wir derart konditioniert, dass wir uns gezwungen fühlen mitzuklatschen, wenn auch nur einer klatscht. Indem wir beide Handflächen aufeinander prallen lassen, verdrängen wir die Luft, wir erzeugen einen Knall und machen mit ihm für Bewunderung Platz. Insbesondere würdigen wir Leistungen, in denen Geübte ihre Fähigkeiten präsentieren. Können wir tatsächlich nicht an uns halten vor Erstaunen? Oder applaudieren wir auch uns selbst?
Die Masse applaudiert natürlich für den leicht gehobenen Durchschnitt, weil sie schnell von vorgetäuschter Genialität zu begeistern ist. Beim Applaus entkommen wir jedoch nur schwer dem Kruger-Dunning-Effekt.
Kruger-Dunning-Effekt
Der Kruger-Dunning-Effekt bedeutet, dass wir unsere eigenen Fähigkeiten in der Regel nicht richtig einschätzen können, weil uns dazu die Expertise fehlt. In der Regel überschätzen wir uns daher. Das Problem deutet sich an: Wir können nie einen Meister beurteilen, wenn wir nicht selbst Meister sind. Im Weiteren heißt dies, dass ein uncharismatischer Experte einen charismatischen Laien in den Augen des Publikums immer unterlegen ist. Drücken wir es so aus, ob wir gegen den Weltranglistenersten oder gegen den Zehntausendsten er Weltrangliste im Schauch oder Tennis verlieren, macht für uns als Laien keinen merkbaren Unterschied. Wir konzentrieren uns daher auf das Charisma.
Applaus wofür?
„Jeder findet seinen Meister“ bedeutet, dass jeder etwas nicht kann. Applaus ist in diesem Sinne vielleicht ein sozialer Kit. Vielleicht drückt Applaus daher aus, dass die Masse sich immer vor der Einzelleistung verneigen muss, sobald die Ãœbung das Können der plumpen Masse übersteigt. Applaus steht dann für den Ãœbersteigungsauftrag, den sich Gesellschaften geben. Oft aber werden Popsternchen schnell zu revolutionären Genies verklärt. Es beginnt mit den Beatles, geht über Queen und endet bei Madonna, Justin Bieber oder eben auch bei Deutschlands ausgesuchten Superstars. Generell gilt eher das Prinzip, das einst Alfred Eisleben formulierte: „Nur ein Meister kann einen Meister loben.“ Im Massengeschmack hat Applaus als Währung seine Inflationskrisen. Applaus kann keine Würdigung für einen Meister sein.
Wie aber applaudieren wir dann, wenn einer nun wirklich etwas geleistet hat? Hier wäre vielleicht eine Lösung: stärker Applaudieren!
Handelt es sich hier um eine außergewöhnliche Leistung, noch besser applaudieren zu können? Ich kann es nicht genau beurteilen. Ein solches Diplom könnte ich mir auch schnell selbst basteln. Das Ganze erscheint mir mit etwas Disziplin erlernbar.
Warum aber lerne ich es nicht, wenn es eigentlich einfach ist über den Durchschnitt hinauszuragen? Obwohl ich intrinsisch dazu bereit bin, fehlt mir leider die extrinsische Motivation. Aus Sicht meiner bisherigen, beruflichen Tätigkeit würde mir diese spezielle Fähigkeit des Klatschens einfach nicht viel bringen. Würde ich so im Konzertsaal applaudieren? Vielleicht ist es gerade mal gut; um der weirde Nerd auf einer Gartenparty zu sein. Hey, aber so könnten 100 Mann applaudieren wie 100.000 Mann! Spartaner des Klatschens. Aber nochmal, was ist nun der Grund, dass ich es nicht lerne?
Warum wir nicht lernen
In meiner Kindheit auf dem Bolzplatz war es häufig so, dass viele sich kleine Fußballtricks gezeigt haben, die niemals besonders waren, aber die doch erlernt werden mussten. Wir halfen uns kaum gegenseitig. Beim Fußball ging es immer darum, sich vor den anderen als besser zu beweisen, aber niemals darum, sich gegenseitig auf ein höheres Niveau zu bringen. Sportliche Kinder waren einfach irgendwie cooler. Dabei waren wir ja auch nur unteres Mittelmaß im überstädtischen Vergleich. Statt uns also im Miteinander immer mehr Fähigkeit zu unterrichten, hatte ich den Eindruck, dass wir darauf verzichteten und uns lieber als die besten in einer Unterschicht beweisen wollten. Applaus! Auf der anderen Seite wurde der ernsthafte Lerndruck vor allem auf die Schulen verlagert. Wer braucht da noch mehr Druck?
Vielleicht aber ist es auch wieder der Kruger-Dunning-Effekt und ohne Meister erfolgt keine angemessene Bewertung. Lehrer sind vielleicht aus diesem Grund unabdingbar, um dem Schüler einerseits zu weisen, wo er noch nicht wissen kann, und um im Moment der psychischen Schwäche dann doch den Schüler zu drillen. Ich frage mich, ob diese zwei Funktionen von einer Gemeinschaft Lernender ersetzt werden können und tendiere zu „Nein“.
Der Schulangriff
Da das Miteinander offensichtlich schwer ist, hat die Gesellschaft die Institution „Schule“ auf den Weg gebracht. Nach üblicher Geschichtsschreibung erfolgte einer der größten und systematischsten Angriffe des Staates auf die Privatssphäre. Schulen, die täglich das Lernpotenzial der Schüler abfordern sollten, haben die Kinder von ihren Kartoffeläckern geholt und von ihren Ausbeutern befreit. Nach Jahren stupider Ackerarbeit verblieb eben oftmals nur ein geistig karger Acker. In Verschwörungstheorien heißt es dann: Die Schule war das Mittel für die Disziplin des Krieges. Demnach glaubte ein Soldatenkönig, dass in den Schülern ein Saatgut verborgen lag, das Lehrer und nicht Eltern zum Keimen bringen konnten, das man dann im Krieg bräuchte. Ist diese Theorie wahr? Oder hat die Schule doch auch einen humanistischen Keim?
Wie dem auch sei. Es heißt, dass nach den Jahren der intellektuellen Ackerpflege unsere Erziehungsanstalten dann doch wieder zur drögen Gartenpflege verkommen sind. Hier freuen sich Kleingärtner einmal im Jahr über ein paar Kartoffelln und selbstgezogene Radieschen. Die dümmsten Bauern haben dabei die dicksten Kartoffeln?
Heute stellt sich die Frage, ob es wieder an der Zeit ist, den Staaten die Bildungsmonopole zu entziehen und die Erziehung einer kreativen Elternschaft zurückzugeben. So vertreten es zumindest die Vertreter von Freies Lernen, die sich aber auch gerne auf Verschwörungstheorien berufen und ihre Kinder vorsichtshalber nicht impfen. Hieraus ergeben sich die Fragen hinsichtlich des Massengeschmacks und des Kruger-Dunning-Effekts. Wer hat die Kompetenz über Lerninhalte und Methoden zu entscheiden?
Im Folgenden findet sich daher ein Video über die Kehrseite, der links-liberalen elterngerechten Erziehung, die die Freiheit des Lernens in den Mittelpunkt stellt. Das Ganze ist ins Absurde abstrahiert, aber wer schützt die Kinder vor Eltern, die eben nicht die Schlausten sind?
Brauchen wir Autorität?
Nun, es könnte tatsächlich sein, dass wir die Autorität der Lehrer benötigen, die uns zum Lernen zwingen. Es stimmt zwar, Schüler sitzen im Unterricht zumeist wie in einem Stau, wobei jeder einen Ferrari besitzt. Keiner darf sein Automobil wirklich ausreizen. Zuviele Lernende, die sich auf zu kleinen Räumen drängeln, verstopfen den Lernprozess. Der Lehrer ist somit kein Trainer mehr, der jeden an die Leistungsgrenzen bringt, sondern jemand, der kleine Feuerreifen aufspannt, durch die die Schüler unmotiviert hindurch springen müssen. Mehr noch die Sprunghöhe ist zumeist so gering, dass selbst ein Toaster höher hüpft, wenn er den Toast zur Morgenbegrüßung rausschießt. Selbstlernfähigkeiten sind dabei weniger gefragt.
Aber lernen wir selbst?
Den Gegenbeweis zur Autoritätsschule erbringt das Internet. Eine Internetgemeinde überrascht sich vor allem mit Kreativität und Tutorials, die immer mehr Experten beflügelt, Dinge zu verbessern und Amateure verleitet, Dinge überhaupt zu erlernen. Das Robot-Dancing hat so überhaupt eine unglaubliche Entwicklung mit immer neuen Moves an den Tag gelegt. Ebenso gibt es Mathematiktutorials oder Beatboxschulen, die Fähigkeiten trainieren, die teilweise die Fähigkeiten des Mathematikunterrichts oder des Musikunterrichts überragen. Im Schach leben wir in einer Zeit, in der ich Weltmeistern beim Daddeln im Internet zu schauen kann:
Davon hätte ich als Kind geträumt. Auch zum Software-Engineering gibt es interessante Einsichten. Nach Techlead, einem früheren Google-Ingenieur, lernen wir Software selbst zu Hause:
Aber lernen wir im Internet am Ende vielleicht nur Äquivalente des Klatschens? Wer lernt im Internet denn schreiben, lesen und rechnen? Das dröge Wiederholen? Wenn das Internet aus der Masse besteht, wie soll dann mehr als Masse dabei rauskommen?
So sitze ich nun nach Internetprokrastination auch und erlerne nebenbei Klatschen wie Tausend Mann.  Beim Klatschenlernen lerne ich ein Stück wieder freies Lernen. Und dennoch: diese Freiheit ist eine verlorene Freiheit, denn wie profitiere ich vom Klatschen?
Vielleicht geht es aber nicht um den Profit beim Lernen, sondern einfach nur um Lernen als Tätigkeit des Lebens selbst. Hier daher der Klang einer Klatschenden Hand.
Was denkt ihr? Brauchen wir Autorität um zu lernen?
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Dr. Norman Schultz,
Mainz, April 2019.
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